KRIEGERLEBNISSE IM HÜRTGENWALD

HARRO KUNST
Detaillierter Bericht:
Stabsbattr. I/AR 189, der 89.I.D. in der Nordeifel Herbst

Donnerstag, 16. November 1944

Nideggen und das Kalltal, sowie die Eifel-Hochflächen von dort nach Westen bis über die belgische Grenze ins Eupener Land, waren mit ihren wilden Wäldern und Schluchten schon immer eine Landschaft von herb-schönem Gepräge und ein beliebtes örtliches Wandergebiet der Aachener, Dürener und Kölner.

Dichte Bewaldung der oft canyon-artigen Hänge und der welligen Hochflächen, Einsamkeit und eine ärmliche Landwirtschaft gaben dem Gebiet damals in Friedenszeiten ihren einmaligem Charakter.

PANORAMA STRASSE

In dieses Land kam der 2. Weltkrieg 1944 gezogen und verwüstete es durch eine Materialschlacht von bisher nicht gekannter artilleristischer Feuerkraft und Feuerdichte in einem wochenlangen Stellungskrieg. Die Zerstörungen waren danach auch 10 Jahre später noch nicht ganz verschwunden, und Spuren der Infanteriekämpfe fand man auch noch mühelos 40 Jahre danach. Heute sind die Dörfer stark aufgesiedelt durch ausgewanderte Städter und immer stärker werdenden Tourismus, Camping- und Wassersport, und über die winkligen Hangstraßen flutet ein nie aufhörender Motorverkehr von PKWs und LKWs aus Aachen und den rheinischen Industriezonen, der sich um die vielen inzwischen aufgestellten Tempo-70-Schilder nicht im geringsten kümmert.

In diesem Land geriet ich 1944 in die Schlacht im Hürtgenwald. Ich feierte dort draußen meinen 19. Geburtstag. Wenige Tage später war ich ziemlich sicher, daß es mein letzter gewesen sein sollte und mein Todestag ganz kurz bevorstünde. Ich war Gefreiter, ausgebildeter Funker bei der 10,5-Artillerie und hatte die Normandie-Schlacht durchgestanden bei Caen und Falaise und an der Seine. Auf dem Rückzug war ich in die Luftlandung von Arnheim geraten und wurde Zeuge der Kämpfe um diese Stadt. Nun war ich schon 40 Tage in der Eifelschlacht. Bisher hatte mich das Schicksal im Einsatz mehrere Kilometer hinter der HKL gelassen.


  • Zerkall und Burgberg
    Bitte klicken für großes Bild.

An diesem Morgen des 16.November stieg ich befehlsgemäß mit einem Kameraden den konkaven Steilhang des Kall-Tals am Südausgang des Papiermühlenfleckens Zerkall empor zum Höhendorf Bergstein. Dort sollte ich mich bei dem B-Offizier meiner Art.-Abteilung zum Gefechtseinsatz als Funker melden. Wir folgten nicht dem Bogen der Straße, sondern stiegen von dem Haus am Ortsausgang über dessen Obstwiese steil bergauf. Auch heute ist dieser Steilhang noch da, aber mit Wochenendhäusern teilweise aufgesiedelt und mit Zufahrtsstraßen versehen. Damals stiegen wir durch absolutes Ödland, schafweidenartig und von Schlehengebüschen unterbrochen. Dieser Steilhang war für die Bergsteinhochfläche der übliche Fußweg von “hinten“ nach “vorne”. Und es gab Kunstfahrer, die diesen Steilhang, Höhenunterschied gut 200 m. auch mit pferdbespanntem Infanteriekarren bezwangen, nicht nur aufwärts, sondern auch abwärts, und manchmal auch in Artilleriefeuer.

Oben angekommen, befanden wir uns an der Hinterhangkante der Bergstein-Hochfläche. Die Kante war nach links mit Laubwald bestanden; dort lag der Burgberg von Bergstein. Nach geradeaus liefen wir direkt auf einen breiten Wohnbunker zu, der in den Hinterhang eingelassen war. Schnurgerade in Fortsetzung darüber befindet sich noch heute die Kirche von Bergstein. Der Bunker hatte, glaube ich, die Nummer 370, und er blieb unzerstört und ist heute noch da: auf ihm erhebt sich heute das “neue” (inzwischen wieder sehr alt aussehende) Forsthaus von Bergstein. Unser Bunker wurde das Kellergeschoß des Forsthauses! Damals befand sich auf dem Bunker ein künstlich aufgeschütteter Erdhügel, davor ein Erdwall, davor eine leichte Senke zur Kirche hinüber und zur Dorfstraße von Bergstein. Dieses Gelände ist heute völlig verändert, weil nach dem Krieg jemand auf die Idee kam, dort aufzuschütten (vermutlich mit Häusertrümmern) und einen Dorfsportplatz anzulegen.


  • B-Stelle Bunker 370
    Bitte klicken für großes Bild.

In dem mehrräumigen Bunker befand sich die B-Stelle (Beobachtungsstelle; unserer Abteilung, mit Gefechtsraum, Fernsprechvermittlung und Schlafräum mit 2-Stockbetten. Der B-Offizier war zu meiner Freude unser früherer Batteriechef Leutnant ***** aus *****. Ich meldete mich bei ihm und wurde eingewiesen: Die HKL lag etwa 4 km vor uns in Vossenack; aus jener Richtung erhielten wir Artilleriefeuer. Vor den Bunker Richtung Kirche und Dorf Bergstein konnte man nicht gehen, denn das Gelände nach dort war bereits feindeingesehen. Da unser verlegtes Fernsprechnetz immer öfter zerschossen wurde, brauchte man jetzt Funker für Funkverkehr. Der sei aber gefährlich, weil er sofort vom Gegner angepeilt würde und zu sofortigen massiven, treffsicheren Artillerie-Überfällen des Gegners führte. Darum könne der B-Stellen-Bunker nicht Funkstelle sein. Mir werde daher der Nachbarbunker zugewiesen, in den ich mich nun zu begeben habe.

Der Nachbarbunker lag auch im Hinterhang eingebettet, und zwar ca. 60 m südlich, das heißt im Hochwald direkt auf der, höchsten Erhebung der gesamten Bergstein-Hochfläche. Sie ist genau 400 m über NN und träge den Namen “Burgberg”. Auch dieser Bunker, einer von den normalen Westwall-Wohnbunkern mit 2 Räumen, ist heute noch da.


  • Bunker 371
    Bitte klicken für großes Bild.

Als ich ihn 1985 wieder besuchte, befand sich darauf ein Café! Unzerstörte Bunker sind halt ein vorzügliches Baufundament. Leider ist dort heute niemand mehr, der weiß, was wir in diesen Bunkern durchgestanden haben. Fröhlich, als wäre nichts geschehen, geht das Leben weiter. Fröhliche Menschen bewegen sich dort.

Dieser Bunker sollte nun Funkbunker der B-Stelle sein. Was ich damals, ständig in Deckung am Hinterhang mich bewegend, niemals herausfand, war, daß der Bunker auf der höchsten Erhebung des gesamten noch gehaltenen Kampfraumes lag. Diese Erhebung ist basaltkuppenartig und ist nicht nur von Vossenack aus, sondern auch von der Hauptstraße Vossenack-Hürtgen und von der Hochfläche von Schmidt hervorragend zu sehen. Entsprechend stark sollte der Burgberg von Bergstein in den folgenden Wochen unter massivem gegnerischen Beschüß liegen.

Bei meiner Ankunft fand ich in dem Bunker als einzigen Bewohner nur einen Mann, meinen Batteriekameraden Spielar vor. Er war Wiener, langaufgeschossen, semmel blond, 20 Jahre alt, verheiratet in Breslau, ein Kind Mit jeder Post empfing er sehnsüchtige Briefe von seiner jungen Frau. Von Beruf war er Musiker, und durch die ganze Normandie hatte er eine Geige mit sie herumgetragen. Die hatte er auch immernoch bei sich, hier im Bunker, und fiedelte darauf: “Hörst du mein heimliches Rufen“.

In dem Bunker war viel Platz für uns beide, ein Tisch mehrere Stühle, 2 Doppelstockbetten (sogenannten “Luftschutzbetten”), aber kein Licht, kein Strom, kein Wasser. Letzteres mußte in Eimern von irgendwo geholt werden. Darum wusch und rasierte sich auch kein Mensch von uns. Zu trinken gab es den täglich von hinten in Kannen oder Tornistertanks herangebrachten Ersatzkaffee (Muckefuck). Täglich holten wir uns schmale Brotrationen, winzige Margarinewürfel und eine Scheibe Wurst vom Nachbarbunker. Warmes Essen gab es nicht mehr. In diesem Bunker wohnte ich 8 Tage. Wegen Peilgefahr hatten wir bis auf weiteres striktes Funkverbot. Mehrmals am Tage, meist schon morgens in der Frühe, veranstaltete die amerikanische Artillerie Granatüberfälle auf unsere Bunker. Da deren Lage ihr nicht exakt bekannt war, explodierten die meisten Geschosse vor uns auf der Burgberghöhe im Wald. Wir bekamen aber auch unverhofft Treffer direkt vor den Bunkereingang und auf unseren Versorgungspfad um Hinterhang. Dort sich zu bewegen, war Glückssache, oft war stundenlang völlige Ruhe, und man lief auch dann zum Verpflegungs- oder Befehlsempfang nur im Laufschritt, in gebückter Haltung, mit offenen Ohren und elastischen Knien, zum sofortigen Hinlegen. Zum Essenholen lösten wir einander ab.

Als ich an diesem trüben Novemberdonnerstag dort hoch gegangen kam, war von gegnerischer Artillerie nichts zu hören und zu spüren. Wieder einmal lag tiefster Frieden über dem Frontbereich an meinem Ankunftstage, wie ich es nun schon mehrmals erlebt hatte.. Kaum war ich am B-Stellenbunker am Hinterhang von Bergstein eingetroffen, wurde ich schon zum Außendienst eingeteilt. Ein Bautrupp unseres Fernsprechzuges sollte eine neue Leitung von Bergstein nach Obermaubach so verbessert legen, daß sie vor Artillerietreffern sicherer war. In Obermaubach und Umgebung lagen unsere Feuerstellungen für die 89. I.D. Obermaubach lag, wie Zerkall, unten im Tal, den hinterhang hinunter. Als wir noch in tiefstem Frieden auf der Kante 1500 m nördlich Bergstein im hangwald beschäftigt waren, überflogen uns plötzlich, von Westen herkommend, amerikanische Bomberpulks ca. 4000 m hoch in so hoher zahl, wie ich sie seit Arnheim nicht mehr gesehen hatte. Wir vermuteten, sie flögen nach Köln. Die Wolkendecke hatte sich gelichtet, und die Flugzeuge, blinkend in der Sonne, waren gut zu sehen und zu zählen. Sie bekamen kein Flakfeuer und flogen, wie meistens, unangefochten. Wir waren sicher, daß wir nicht ihr ziel waren. Ihr ziel war jedoch näher, als wir vermuteten. Kaum hatten sie hinter uns das Rurtal überflogen, hörten wir das typische, volltönige Rauschen von Hunderten zugleich abgeworfener Sprengbomben. Es klang jedesmal, als sei eine riesige Dampfleitung geplatzt. Wo würde der Bombenteppich einschlagen? Nach 3 Sekunden könnte wir es von unserer Bergeshöhe aus in allen Einzelheiten beobachten: Die Stadt Düren, ca. 10 km hinter uns drunten in der Ebene, wurde dem Erdboden gleichgemacht.. Kilometerhohe Rauch- und Trümmerwolken stiegen auf, die große Stadt begann flächig zu brennen. Wer sich dort jetzt befand, war verloren. Die Stadt war noch nicht von ihrer Zivilbevölkerung geräumt gewesen. Wehrmachtstützpunkt war sie nicht. Trosse, Depots, Ruhestellungen unserer Truppen lagen nie in großen Städten, sondern dezentralisiert. Die Bombardierung von Düren war eine der typischen amerikanischen Fehleinschätzungen und Sinnlosigkeiten gegen Unschuldige. Schulkinder und Babies wurden ermordet. Die Stadt Düren war ausgelöscht. Die deutsche Verteidigungsfront, 12 km davor, blieb stehen und hielt noch viele Wochen.

DÜREN ZERSTÖRT
Düren zerstört


HORIZONTAL FLOURISH LINE

(Aus Taschenkalender-Notizen 1944) HARRO KUNST

Zur Verfügung gestellt von Helmut Schulte

Zum Seitenanfang

SITEMAP