KRIEGERLEBNISSE IM HÜRTGENWALD

Sonntag, 19. November 1944

Von nun an wurden Spielar und ich in Ruhe gelassen in unserem Bunker 371 oben im Burgberg bei Bergstein. Zu zweit führten wir ein ruhiges Wohnbunkerleben, denn wir hatten Funkverbot. Stellten wir unseren Empfänger an, so hörten wir immer zahlreiche amerikanische Stimmen, aber nie eine deutsche. Amerikanischer Sprechfunk, oft brüllend laut, begann immer mit dem Wort “Hello”, gefolgt von einem Codewort, oft einer Zahl. Der ganze Funkspruch bestand überwiegend aus Codewörtern und Zahlen, und er endete immer mit dem Wort “Over!”

Artillerie-Einschläge erhielten wir Anfang dieser Woche noch fast gar nicht, und wir benutzten die Ruhe, um unser Zeug zu säubern und zu flicken und um Briefe zu schreiben.

BUNKER CREW

Wir hatten auch Diskussionen über dies und das, besonders über Versorgung, über Frauen und über Zuhause. Wir kannten uns sehr gut seit Düsseldorf-Garath, wo wir zusammen mehrere Wachte im gleichen Sammelquartier gelegen hatten und Spielar von einer französischen “Fremdarbeiterin” geliebt wurde.

Die Dunkelheit kam abends immer früher, und unsere einzige Beleuchtung im Bunker bestand aus “Hindenburg-Lichtern”, wachsgefüllten Blechdöschen, bei deren Beleuchtung man kaum eine Zeitung lesen konnte. Gut waren die Hindenburg-Lichter immer zum Läuseknacken. Man tat es, indem man den Halsausschnitt des Unterhemdes oder Waffenrocks dicht über das Fläminchen hielt. Droben in Bergstein waren wir allerdings läusefrei. Die letzten Läuse war ich 8 Tage vorher beim Regimentsstab in Heimbach losgeworden.

Draußen waren schon empfindlieh kalte Novembernächte. Unser Bunker hatte keinen Ofen, und so wohnten und schliefen wir ständig warm angezogen in dem kalten Bunker.

Montag, 20. November 1944

Gegen Mittag wurde Kamerad Spielar zum benachbarten B-Stellen-Bunker befohlen. Nach einiger Zeit kam er zurück mit Furcht im Gesicht: “Ich muß auf VB gehen!” (VB = Vorgeschobener Beobachter vorn in der Infanteriestellung direkt vor dem Gegner). Er nahm seinen Brotbeutel, Gasmaske, Stahlhelm und Gewehr, drückte mir die Hand und sagte: “Ich hab so ein Gefühl, daß ich nicht wiederkomme.” Ich versuchte ihm Mut zu machen: “Alles halb so schlimm!”. Dann ging er.

Von nun an gehörte mir der Bunker 371 ganz allein, und zwar vier Tage lang. Kein Mensch auf der B-Stelle schien sich um mich einsamen Funker zu kümmern.

Da der Tag völlig ohne Gefechtslärm war, beschloss ich am Wachmittag, einen Ausflug zu machen und mir die Gegend vor meinem Bunker anzusehen. Bisher kannte ich meinen Bunkerplatz ja nur am gedeckten hinteren und einzigen Eingang. Ich ging neben, dem Bunker nach oben und befand mich in dichtem herbstlichem Laubwald, der die ganze Kuppe des Berges bedeckte. Das Unterholz bestand aus Himbeergestrüpp Ich ging in gebückter Haltung von Bodenvertiefung zu Bodenvertiefung, immer bereit, bei plötzlichem Feuer Deckung zu nehmen. Es blieb aber ruhig. Zu meiner Überraschung fand ich nach ca. 60 m oben im tiefen Wald ein fast intaktes Einzelhaus, malerisch gelegen und von seinen Bewohnern verlassen. Es war das Forsthaus von Bergstein (das heute spurlos verschwunden ist). Die Türen waren offen, die Fenster zersplittert, das Mobiliar vollzählig und intakt! Einige Kameraden waren allerdings schon zu Besuch gewesen, auf der Suche nach Brauchbarem, und hatten Gegenstände auf dem Erdboden verteilt liegen lassen. Ich stieg in den Keller, eigentlich nur, weil er am meisten geschützt Lag, und fand dort zu meiner Überraschung unbeschädigt einen sauberen Raum mit Regalen voller gefüllter Einmachgläser. Ich entschied mich für ein großes Glas mit Birnenkompott, das ich mit nach oben nahm. Kein Mensch war weit und breit. Da noch immer kein Artilleriefeuer kam, besuchte ich noch das gemütlich eingerichtete Wohnzimmer. Zwischen Jagd- und Forstschrifttum fand ich in einem Bücherschrank ein Heimat buch der Nordeifel. Dieses nahm ich mir zu lesen mit in den Bunker. Ich erfuhr darin zum ersten Male von den Rurtalsperren, von der Geschichte von Mariawald, vom Ausflugsort Heimbach und vom Kletterfelsen bei Abenden. Ich erfuhr, daß ich mich in einer Gegend voller Romantik befand, die gerade im Begriff war, ebenso zerstört zu werden wie die wunderschöne Normandie, aus der ich hierher verschlagen war. Ausgehungert verschlang ich das süße Birnenkompott. Im Schein von Hindenburgkerzen im herbstkalten Bunker.



HORIZONTAL FLOURISH LINE

(Aus Taschenkalender-Notizen 1944) HARRO KUNST

Zur Verfügung gestellt von Helmut Schulte

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