Die Schlacht im Hürtgenwald - I. Teil

Oberstleutnant
i.G. Klaus Hammel

Die Beschäftigung mit der jüngeren und jüngsten Kriegsgeschichte sollte für den Offizier der Bundeswehr eine Selbstverständlichkeit sein. Dabei geht es nicht nur um das Wissen über die damaligen Geschehnisse und Leistungen, sondern vor allem auch darum, Lehren aus dem Verhalten oder Fehlverhalten von Führern und Truppe für eine bedrohungsgerechte Ausbildung in der Bundeswehr ziehen zu können. Aus diesen Gründen hat der Inspekteur des Heeres angeordnet, vermehrt Beispiele aus der Kriegsgeschichte in die Ausbildung einzubringen. Im Heft 7/1984 wurde mit der Serie “Vor 40 Jahren” begonnen. Soviele Jahre nach der „Schlacht im Hürtgenwald" soll mit dieser Reihe von Aufsätzen ein weiterer Beitrag zu o. a. Zielen geleistet werden. Der Autor - Angehöriger des Führungsstabes der Streitkräfte - hat sich für diesen Zeitabschnitt einen Namen gemacht.

September 1944 - Februar 1945

I. Vorbemerkung

Von den Teilnehmern der Schlacht und in der Literatur wird sie oft als die "Hölle im Hürtgenwald" bezeichnet, häufig erfolgt auch ein Vergleich in der Form eines Schlagwortes: "Das Verdun des 2. Wellkrieges". Wegen der Verlustzahlen, wegen des Charakters der Kampfhandlungen, die hauptsächlich von der Artillerie, Infanterie und den Pionieren bestimmt waren, wegen des Ringens um Wälder oder Waldstücke, um Sperren oder Ortschaften. Wenn Raymond Cartier schreibt (unzutreffenderweise, wie später dargestellt wird), daß das Dorf Hürtgen im Waldgebiet gleichen Namens vierzehnmal..., das Dörfchen Vossenack bei Monschau achtundzwanzig mal... den Besitzer gewechselt habe 1, so wären in der Tat Vergleichsmöglichkeiten mit den Ortschaften Fleury, Vaux oder Douaumont auf dem Schlachtfeld von Verdun gegeben, die in den Kämpfen des 1. Weltkrieges mehrfach von wechselnden "Besitzern" eingenommen wurden. Die Schlacht dauerte, rechnet man vom Zeitpunkt des ersten Angriffs der 9. (US) InfDiv ab dem 14. September bis zum 5. Februar 1945, als die letzten Bunker südostwärts Raffelsbrand aufgegeben wurden, beinahe fünf volle Monate. Ein schmiedeeisernes Relief an der ehemaligen Eingangstüre der Kirche von Vossenack erinnert an die 68.000 Toten, die die Schlacht um den Hürtgenwald gekostet haben soll.

Dennoch war sie keine der entscheidenden Schlachten des 2. Weltkrieges.
Sowohl R.W. Thompson 2 als auch David Irving 3 spielen darauf an, wenn festgestellt wird:

"Nachdem sie in den dunklen und undurchdringlichen Hürtgenwald vorgestoßen waren, mußten sich die Amerikaner in schauerlichen Gefechten durch den Steinzeitdschungel entlaubter, umgestürzter Baume und den stinkenden, von Granaten zerwühlten Schlamm hindurchkämpfen. Es war eine jener zähen, das Letzte an Kraft und Ausdauer erfordernden Infanteriekämpfe, die nicht in die Geschichte eingehen, sich aber unauslöschlich in die Erinnerung aller einprägen, die dabei waren."

GEDENKSTEIN
Abb. 1: Gemeinsames Grab! Gedenkstein für gefallene Kämpfer im Hürtgenwald.
32 Jahre nach den Kämpfen bei einem Wegebau gefunden.

Aber Soldaten können ihr Leben nur einmal verlieren und - abgesehen von wenigen Führern - sie übersehen meist nicht., ob sie ihre Gesundheit, ihren Mut, ihre Überwindung, Schmerzen, Schweiß und Mühsal für “entscheidende Schlachten” aufbringen oder für Gefechte, die den Ablauf der Ereignisse nur am Rande beeinflussen.

Sie bringen, aufweicher Seite auch immer, ihre Opfer im guten Glauben.

Infolgedessen ist eine Bewertung über Sinn oder Sinnlosigkeit - etwa angesichts der angeblich auch für einfache Soldaten eindeutigen Tatsache, daß im Herbst 1944 der Krieg für Deutschland verloren war -, aus der geschichtlichen Rückschau nicht statthaft. Eine solche Bewertung ist nur, wenn überhaupt möglich, aus den Verhältnissen der Zeit heraus vorzunehmen.

Vierzig Jahre nach der Schlacht soll mit einer Folge von Aufsätzen ein Beitrag geleistet werden, die damaligen Ereignisse darzustellen und für militär-historisch Interessierte aufzubereiten. Der Hauptzweck dieser Aufsätze ist es also, einen historischen Sachverhalt zu beschreiben.

Bedingt durch das Ausscheiden kriegsgedienter Offiziere und Unteroffiziere und dem daraus resultierenden Mangel, den jungen Soldaten den Krieg so darstellen zu können “wie er ist”, hat der Inspekteur des Heeres angeordnet 4, vermehrt Beispiele aus der Kriegsgeschichte in die Ausbildung einzubringen. Die Aufsatzreihe hat folglich den weiteren Zweck, eine Bewertung über Taktik und Kampfweisen, über Führungs- und Einsatzgrundsätze der damaligen Zeit vorzunehmen und - wo möglich - Folgerungen oder Lehren für das Heute zu ziehen.

Schließlich:
Seit der Wiederbewaffnung Deutschlands und dem Aufbau der Bundeswehr ist uns im Laufe der Jahre immer deutlicher geworden, daß ein Krieg - wenn er stattfinden würde - im eigenen Lande geführt werden müßte. Folgerungen für Ausstattung, Organisation und Struktur der Streitkräfte, für die zivile Verteidigung, für die Gesetzgebung, für Planung, Ausbildung und Vorbereitungen wurden gezogen.

Die Schlacht im Hürtgenwald ist eine der Operationen, die in unserem Lande, auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik, ausgetragen wurden. So lassen sich aus der Darstellung auch Vorstellungen darüber gewinnen, was es tatsächlich bedeutet, einen Krieg im eigenen Lande durchzustehen.

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Quelle: HEER - “Vor 40 Jahren” - Truppenpraxis 10/84 - Oberstleutnant i. G. Klaus Hammel

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