Die Schlacht im Hürtgenwald - I. Teil

Oberstleutnant
i.G. Klaus Hammel

III. Der Westwall

  1. Der schnelle Vorstoß auf die Reichsgrenzen hatte auch pessimistische Gemüter wie Feldmarschall Montgomery (ab dem 1. September zu diesem Rang befördert) in euphorische Stimmung versetzt. Wetten über die Zeitspanne, in der die Deutschen noch durchhalten konnten, wurden abgeschlossen. Die günstigsten Annahmen gingen von einem Kriegsende Anfang November 1944 aus. 35 Wenige warnende Stimmen wurden überhört. 36 Ganz allgemein kann man sagen, daß diese Unterschätzung der Deutschen nicht nur zu einem hinausgeschobenen Kriegsende, sondern auch zu dem Überraschungsschlag der Ardennen-Offensive beitrug. Andererseits zeigte die Diskussion um die Versorgungskrise einen Respekt vor dem Westwall, der "Siegfried-Linie", wie die Alliierten ihn bezeichneten, der weder 1939 zur Zeit des "Sitzkrieges", noch im September 1944, angebracht war. 37 Der in den Jahren 1938 bis 1940 geglückte Propagandaerfolg zeigte auch noch vier Jahre später seine volle Wirkung. Abgesehen davon, daß die Befestigungswerke im September 1944 kaum mit Truppen besetzt waren, hatten auch die Zeit und andere Einflüsse an dem sowieso nicht allzu hoch einzuschätzenden Kampfwert ihre Auswirkungen hinterlassen. Die Mängel des Westwalls 1944 lassen sich unter vier Punkten zusammenfassen:
    • Die Konstruktion der Befestigungsanlage.
    • Die "Kannibalisierung" zugunsten anderer Festungsbauten, z. B. des Atlantikwalls.
    • Die Vernachlässigung zwischen 1940 und dem Juli 1944.
    • Die unsachgemäße Wiederherstellung durch Dienststellen der Partei und durch das "Volksaufgebot".

    HOCKER PANNESHEIDE
    Abb.2: Höckerlinie der ersten Westwall-Stellung bei Pannesheide

  2. In dem Raum, der für unsere Betrachtung wichtig ist, befanden sich zwei Westwall-Linien. Die später gebaute (ab 1939) erste Westwall-Linie, etwa entlang der früheren Westgrenze, die sich im Raum Aachen und im Raum der Schnee­Eifel wieder mit der zuerst gebauten (ab 1938) Hauptlinie -die nunmehr zweite Westwall-Linie genannt wird - vereinigt. Verlauf der zweiten Westwall-Linie etwa Stolberg - Vicht -Zweifall - Todtenbruch - Raffelsbrand - Simonskali - Rur/ Urft-Talsperre - Gemünd - Schleiden. Die später gebaute erste Linie umfaßte die stärker befestigten Werke. In ihrer Auslegung waren alle "Regelbauten" 38 von der damals verfügbaren Bewaffnung ausgegangen. Im Herbst 1944 genügte aber die Konstruktion nicht mehr den Anforderungen. Die Stärke der Wände und Decken hielt der Wirkung moderner Artilleriegeschütze und Fliegerbomben nicht mehr stand. Die Kampfräume waren zu klein, so daß sie moderne Waffen nicht mehr aufnehmen konnten. Die Pak 3,7 cm, für die die Pak-Stände ausgelegt waren, können die Panzerung moderner Panzer nicht durchschlagen. Die Aufnahme der Pak 7,5 cm, von der 8,8 ganz zu schweigen, fordert umfangreiche Umbauarbeiten. Von den im gesamten Westwall vorhandenen 575 Pak-Bunkern sind 335 (flankierende Waffenwirkung, die anderen scheiden wegen des Frontaleinsatzes aus) für den Umbau vorgesehen. Davon werden aber nur 197 umgebaut.

    GRUPPENUNTERSTAND 132
    Abb.3: Noch erhaltener Bunker 132 auf dem Buhlert, südostwarts Simonskall,
    Gruppenunterstand mit angebauten Kampfraum.

    Die Abmessungen der MG-Stände paßten nicht für das MG 42, darüber hinaus war wegen nicht ausreichender Belüftungen (Rauchentwicklung beim Verschuß) ein längerer Kampf bei geschlossenem Bunker nicht möglich. 39 Soweit die älteren MG 34 zur Verfügung standen, wurden die Bunker damit ausgerüstet. Die Masse der Bunker wurde jedoch nur als splitter-, zum Teil beschußsichere Unterstände benutzt, gekämpft wurde meist aus Feldstellungen, die innerhalb des Befestigungsgürtels angelegt wurden.

  3. Bald nachdem das Westheer 1940 aus dem Westwall heraus zum Angriff gegen Frankreich angetreten war, hatte der Ausbau wichtiger Ausstattungsteile und der Inneneinrichtung begonnen. Panzerscharten, Fernmeldemittel, Geschütze und Maschinengewehre, Teile der Belüftung, die Flächendrahthindernisse um die Bunker und in der Höckerlinie wurden ausgebaut und zum Atlantikwall gebracht oder anders verwendet, zum Teil auch in zentralen Lagern gelagert. Obwohl ein Teil der Ausstattung dort noch verfügbar war, konnten sie bei den sich überstürzenden Ereignissen so schnell nicht wieder herbeigeschafft und eingebaut werden.

  4. Die wenigen Baustäbe und Pionierkräfte, die ab 1940 zur Verfügung standen, konnten die Werke nicht instandhalten. Viele Bunker waren mit Wasser gefüllt, das Schußfeld im allgemeinen zugewachsen. Häufig konnten die Bunker nicht durch das Feldheer übernommen werden, da Schlüssel verlorengegangen waren. Beim öffnen anderer Bunker stellte sich heraus, daß sie als Lager für Feldfrüchte und den abtransportierten Hausrat der in den Großstädten ansässigen Parteigrößen mißbraucht worden waren.

  5. Die Leitung der Wiederinstandsetzungsarbeiten durch das “Volksaufgebot” (Aufruf am 3. September, Arbeitsbeginn ab 4. September, Gesamtstärke Mitte September etwa 235.000 Mann) lag in den Händen der Partei. Verantwortlich waren die Gauleiter als Reichsverteidigungskommissare. Bei der Übernahme der Befestigungslinie durch die Truppe, etwa ab 10. September, beklagte sich diese über die wenig sachgerechte und taktisch wertlose Anlage von Feldstellungen.

    "Zu Beginn der Arbeiten gab es, außer den beiden Festungsdienststellen in Düren und Xanten und einigen personell den Aufgaben nicht gewachsenen Pionier- Sonderstäben, keine Festungspionier-Dienststellen, die Einfluß auf die Linienführung im einzelnen nehmen konnten, oder die fachliche, sachgemäße Ausführung der Gräben und Unterstände überwachen konnten. Den Leuten der Partei ging es aber letztlich nur darum, möglichst viele Kilometer Graben herzustellen, egal ob sie taktisch richtig angelegt waren oder irgendwo im Gelände verliefen; Hauptsache, man konnte hohe Zahlen an Himmler melden." 40

    Als Ergebnis aller dieser Faktoren maßen die Truppenführer der Befestigungslinie keinen großen Wert zu. Aber Wenig schien mehr als Nichts. Bei den beginnenden Kämpfen sollte sich der Wert auch eines "heruntergekommenen Westwalls" zeigen.

HORIZONTAL FLOURISH LINE

Quelle: HEER - “Vor 40 Jahren” - Truppenpraxis 10/84 - Oberstleutnant i. G. Klaus Hammel

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