Die Schlacht im Hürtgenwald - I. Teil

Oberstleutnant
i.G. Klaus Hammel

2. Ausgangslage der westlichen Alliierten

Strategiestreit

  1. Noch während des Vorstoßes über die Seine hatten sich bei den Alliierten unterschiedliche Auffassungen über das weitere Vorgehen gezeigt.

    Einheitlich war dabei die Absicht, so schnell wie möglich auf Berlin vorzustoßen, um das Deutsche Reich entscheidend zu treffen. Von der Wegnahme des Ruhr-Gebietes als Wirtschafts- und Rüstungszentrum erwartete man sich möglicherweise schon davor die Beendigung des Krieges. Während der Invasionsplanungen im Frühjahr 1944 waren -nachdem ein Vorstoß durch Flandern bzw. durch die Ardennen als ungünstig verworfen worden war- zwei Hauptstoßrichtungen übriggeblieben:

    1. Nördlich der Ardennen, in der Achse Maubeuge - Lüttich - Aachen.

    2. Südlich der Ardennen in der „Lücke" Metz - Kaiserslautern, in Richtung Saar-Gebiet und Frankfurt. 24 Montgomery forderte in einer Besprechung am 23. August den ein­ deutigen Schwerpunkt in den Raum nördlich der Ardennen zu seiner 21. HGr zu legen. Eisenhower, bedrängt durch seine US-Generale (Bradley als OB der 12. HGr, Hodges. OB der 1. Armee, und Patton. OB der 3. Armee) und unter Berücksichtigung der amerikanischen öffentlichen Meinung (eindeutiges Übergewicht der USA im Anteil der eingesetzten Kräfte!), wollte auf einen Nebenstoß südlich der Ardennen nicht verzichten. Zumindest Patton mit der 3. (US) Armee sollte auf die Mosel und das Saar-Gebiet vorstoßen. 25 Eisenhower hielt unausgesprochen an der Absicht fest, den sich abzeichnenden Zusammenbruch der Deutschen ausnutzend, „auf breiter Front" den Westwall zu überwinden, einschließlich der Kräfte, die in Südfrankreich gelandet waren, also der späteren 6. Heeresgruppe. Dies wurde spätestens aus seiner Weisung, der Direktive FWD 13 765, vom 6. September, deutlich. Aus ihr ging hervor, daß zwar die 1. (US) Armee näher an die 21. HGr herangezogen werden sollte, um deren Flanke zu schützen, ein Schwerpunkt in der logistischen Unterstützung aber nicht gesetzt wurde. Montgomery protestierte heftig.

  2. Das schnelle Vorgehen der Verbündeten und die daraus entstandene Lage machten zumindest Modifikationen der abgesprochenen Planungen erforderlich.

    Die Höhepunkte der Verfolgung zur Reichsgrenze ergaben sich im Zeitraum 1. September bis 11. September 1944. Am 11. September hatten die verbündeten Truppen eine Linie erreicht, die nach den Planungen D + 330 (also am 2. Mai 1945) erreicht sein sollte. Die größten Geländegewinne hatten sich dabei in den letzten 48 Stunden ergeben. 26

    Da es den westlichen Verbündeten nicht gelungen war, die im Pas de Calais stehende 15. deutsche Armee (von Zangen) zu werfen, stand diese noch um und südlich der Schelde-Mündung, wohingegen die Verbündeten bereits Antwerpen genommen hatten. Der Weg nach Antwerpen war jedoch dadurch versperrt. Somit war eine vorübergehende Schwerpunktverlagerung in Richtung Flandern bei der 21. HGr erforderlich, um zunächst einen leistungsfähigen Tiefwasserhafen in die Hand zu bekommen. Diese, besonders von den Engländern angestrebte Verlagerung des Schwerpunkts bot weitere Vorteile:

    Zusätzliche Kanal-Häfen konnten genommen werden, leistungsfähige Flugplätze lagen eher nördlich der Ardennen und - last but not least -:

    Durch einen Vorstoß über Flandern nach Holland hinein konnten die V-1- und V-2-Raketenstellungen ausgeschaltet werden, die so viel Einfluß auf die britische Bevölkerung und ihren Durchhalte willen hatten. 27

    Konsequenterweise forderte Montgomery, daß von den verfügbaren Armeen ihm drei unterstellt würden (1. kanadische, 2. britische, 1. (US) Armee), während die 12. HGr nur über die 3. (US) Armee verfügen sollte. Nicht genug damit: Um einen eindeutigen logistischen Schwerpunkt zu bilden, sollte diese im Raum Metz - Nancy angehalten werden.

    Ein neues Treffen Eisenhower/Montgomery am 10. September in Brüssel war erforderlich. In der Folge wurden Montgomerys Wünsche zumindest nach außen hin erfüllt: Erste Priorität in der Zuführung der Versorgungsgüter bekam er, die 1. Armee verblieb zwar unter dem Befehl der 12. HGr, sollte aber eng mit der 21. HGr zusammenwirken und weiterhin in der Richtung Lüttich - Aachen vorgehen sowie die Lücke in den Ardennen zu der südlich davon eingesetzten 3. (US) Armee abdecken. 28 Im stillen ließ jedoch Eisenhower Patton in seinen Versuchen gewähren, über Metz auch das Saar-Gebiet weiter anzugreifen.

Logistische Probleme

  1. Wie der Rußlandfeldzug 1941 gezeigt hatte und die Gegenoffensiven der Russen 1943 und im 1. Halbjahr 1944 (siehe Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte), waren den weitgesteckten Stößen gepanzerter Truppen von der Entfernung her Grenzen gesetzt. Wurden Versorgungswege und Verbindungslinien zu lang, mußte zunächst angehalten und umgruppiert werden, die rückwärtigen Dienste mußten aufschließen, die abgenutzte Truppe bedurfte der Regeneration. So verhielt es sich auch mit den Streitkräften der Alliierten Ende August/Anfang September 1944.

    In den ursprünglichen Planungen sollte nach dem Ausbruch aus den Brückenköpfen am Seine-Abschnitt angehalten und die Kräfte neu angesetzt werden. Der schnelle Zusammenbruch der Deutschen hatte jedoch alle logischen und methodischen Ansätze hinweggefegt. Günstige Gelegenheiten zum Ausnutzen des Erfolges mußten ergriffen, dem Gegner nachgestoßen, er letztendlich geschlagen werden. 29

  2. Bis zum 11. September waren in den Brückenköpfen in den künstlichen Häfen und im bis dahin einzig verfügbaren Hafen Cherbourg ca. 2.170.000 Soldaten sowie ca. 461.000 Fahrzeuge aller Art gelandet worden sowie über drei Mio t Kriegsmaterial. 90 bis 95% aller gelandeten Versorgungsgüter lagerten aber Ende August noch in Depots oder in Lagern im Bereich der Küste. 30 Es mangelte also nicht so sehr an Versorgungsgütern wie an den Transportmitteln, sie dorthin zu bringen, wo sie gebraucht wurden.

    Durch die strategischen Luftangriffe auf Transport- und Verkehrseinrichtungen im Bereich der Normandie und in Nordfrankreich (Verhindern Heranführen deutscher Reserven) hatten sich die Alliierten selbst geschadet: Trotz verzweifelter Anstrengungen war die Leistungsfähigkeit des Eisenbahnnetzes nicht so schnell wiederherzustellen. Mittlerweile operierten die verbündeten Armeen zwischen 400 und 600 km von ihren Versorgungsbasen entfernt, mit dem entsprechenden Zeitbedarf für das Herantransportieren der Versorgungsgüter.

    Pattons 3. Armee mußte ihren Vormarsch an der Maas vom 1. September bis 6. September aus Betriebsstoffmangel einstellen, einzelne Armeekorps der 2. britischen und der 1. (US) Armee mußten angehalten werden, damit ihre Transportkolonnen den anderen Korps zur Verfügung gestellt werden konnten. Ende August betrug der Versorgungsbedarf der 1. (US) Armee 5.500 t pro Tag. Trotzdem der Schwerpunkt dorthin verlegt worden war, erhielt sie nur ca. 2.200 t. Montgomerys Heeresgruppe erhielt nur die Hälfte ihres Tagesbedarfes an Versorgungsgütern von ca. 12.000 t. 31

  3. So stellt das amerikanische Generalstabswerk über den 2. Weltkrieg fest: Es hätte zwei Möglichkeiten gegeben, das Problem zu lösen:

    1. Ein vernünftiger Aufbau des Versorgungsnetzes, mit dem Vorschieben der Depots und Lager näher zur Front, aber mit der Folge, daß der Vormarsch auf breiter Front angehalten werden mußte, oder:

    2. Häfen zu nehmen, die näher zur Front lagen.

    Der vernünftige Aufbau des logistischen Systems war. wie bereits angesprochen, verworfen worden. Wie stand es mit den Häfen?

    Hitler hatte die verfügbaren Häfen an der Atlantikküste mit ausreichenden Besatzungen zu Festungen erklärt und - insbesondere nach dem schnellen Fall von Cherbourg (26. Juni) - befohlen, sie bis zur letzten Patrone zu halten.

    So blieben die Häfen von Dünkirchen, Lorient, St. Nazaire und La Rochelle bis zum Kriegsende in deutscher Hand.

    St. Malo hält bis Mitte August, Le Havre wird am 12. September genommen, Brest kapituliert am 17. September. Der Hafen von Le Havre ist erst am 9. Oktober, der von Brest etwa ab Mitte Oktober wieder einsatzbereit, beide liegen aber zu weit von der Front entfernt, um zu einer Entlastung beizutragen.

    Boulogne und Calais fallen am 12. September bzw. 1. Oktober in die Hände der Alliierten. Zu spät, um noch während des größten Schwächemoments der Deutschen ins Gewicht zu fallen. 32

    Solange die 15. Armee noch an der Scheide stand, war der Hafen von Antwerpen, der praktisch unzerstört in die Hand der Briten gefallen war, wertlos.

    In Erwartung einer schnellen Inbetriebnahme von Antwerpen waren die Hafendienste von Cherbourg dorthin abgezogen worden, womit die Leistung dieses Hafens reduziert wurde. An der Besatzung der Schelde-Mündung werden sich die Kanadier die Zähne ausbeißen. Die letzten Stützpunkte kapitulieren nach hartnäckigen Kämpfen Anfang November. Da aber dann noch die Wasserstraße vermint ist, wird es bis zum 28. November dauern, bis die ersten Schiffe den Hafen anlaufen können. 33 Den ganzen Oktober über wird also daher die Versorgung der Alliierten Schwierigkeiten bereiten, die um so mehr ins Gewicht fallen, da die Amerikaner an einen Überfluß von Versorgungsgütern gewöhnt waren. Anfang Dezember lagern immer noch 48% aller gelandeten Versorgungsgüter in den Brückenköpfen.

  4. So bleibt eine abgeänderte Fassung zur Möglichkeit 1 übrig. Der vernünftige Aufbau der Logistik soll erst dann erfolgen, wenn die Armeen nicht mehr weiter vorankommen. Zunächst will man versuchen, so weit zu kommen wie es geht. Dieses "soweit es geht" endete am Westwall.

Bewertung

In der Bewertung der Auffassungen Eisenhowers und Montgomerys kommt letzterer in der Literatur immer ein wenig günstiger weg, weil angeblich sein kürzester Weg zur Ruhr den Alliierten noch 1944 die Entscheidung des Krieges gebracht hätte. Der breite Vorstoß von Eisenhower zum Rhein mit den entsprechenden Verzögerungen hätte Hitler noch einmal Zeit gegeben, Luft zu holen, zu Kräften zu kommen und die Westfront zu stabilisieren.

Das US-Generalstabswerk weist eigentlich schlüssig nach: der gesamte Strategiestreit war letztlich „auf Sand gebaut", da selbst beim Setzen von eindeutigen Schwerpunkten entweder zu Patton oder zu Montgomery die logistische Reichweite nicht ausreichend gewesen wäre, um in einem Zuge zum Rhein zu kommen. Irgendwann mußte ein vernünftiger Aufbau oder die Wegnahme von Häfen kommen, und dann mußte den Deutschen eine Atempause gegeben werden.

Das letztlich dies den Krieg nicht entschied, beweist eine Aussage Hitlers auf das Verlangen seiner Generale, als sie zum Ende der Schlacht um das Rheinland forderten, sich hinter dem Rhein zu schlagen und den Raum westlich des Rheins aufzugeben: Er sei es leid, „die Katastrophe von einem Punkt auf einen anderen zu verschieben". 34 Trotz der beginnenden harten Kämpfe war der Krieg für Deutschland verloren, unabhängig von einem methodisch-langsamen oder von einem taktisch-kühnen Vorgehen. Möglicherweise hätte aber das taktisch-kühne Ausnutzen der günstigen Gelegenheiten zum Stoß durch den Westwall das Leben von vielen Soldaten retten können.

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Quelle: HEER - “Vor 40 Jahren” - Truppenpraxis 10/84 - Oberstleutnant i. G. Klaus Hammel

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