Die Schlacht im Hürtgenwald - I. Teil

Oberstleutnant
i.G. Klaus Hammel

II. Überblick über die Gesamtlage

Um einerseits nachvollziehen zu können, warum die westlichen Alliierten fünf Monate alles daransetzten, zerschossene Eifel-Dörfer, moorige Hochflächen, zersplitterte und mit Minen und Drahthindernissen zu einem beinahe undurchdringlichen Geflecht verwobene Waldstücke zu erobern und dabei bei einigen Divisionen die insgesamt höchsten Verluste des 2. Weltkrieges in Kauf zu nehmen, aus welchen Gründen und unter welchen Randbedingungen es den Deutschen gelang, das Vordringen auf den Rhein zu verhindern, und um andererseits bewerten zu können, warum dies letztlich keinen entscheidenden Einfluß mehr auf die Niederlage des Deutschen Reiches haben konnte, erscheint zweierlei zweckmäßig:

Zunächst einen Überblick über die Gesamtlage zu geben, die zu dieser Zeit von der deutschen politischen Führung, die zugleich die oberste militärische Führung war, berücksichtigt werden mußte, um danach etwas ausführlicher die Ausgangspositionen und die Absicht der Anglo-Amerikaner Ende August 1944 darzustellen.

1. Lage des Deutschen Reiches

Lage an der Ostfront

  1. Nachdem die sowjetische Frühjahrsoffensive gegenüber der Heeresgruppe Süd (von Manstein) zum Verlust der Ukraine geführt hatte, bevor die Schlammperiode einsetzte. traf die Deutschen durch die Sommeroffensive der Roten Armee ein weiterer niederschmetternder Schlag: Wenige Tage nach Beginn der Offensive vom 22. Juni 1944 ist die Front der Heeresgruppe Mitte (Busch) zusammengebrochen, die Sowjets stoßen quasi im freien Raum vor. Nach Ablösung des GFM (Generalfeldmarschall) Busch durch GFM Model 5, gelingt es diesem, in mühseliger Flickarbeit, durch den Einsatz von Ersatz- und Marschverbänden, durch das Stopfen von Löchern mit Trossen und Alarmeinheiten, durch das Abziehen von Reserven aus dem Bereich der Heeresgruppe Nordukraine, eine einigermaßen stabile Front aufzubauen.

    Jedoch stehen die Russen an der Grenze von Ostpreußen, vor dem Stadtgebiet von Warschau 6, und haben Lemberg genommen. Während sie im Angriff 720 km Raum nach Westen gewonnen haben, sind bei der Heeresgruppe Mitte von 40 verfügbaren 25 Divisionen vernichtet, abgeschnitten oder haben sich aufgelöst.

    Das deutsche Heer verliert zwischen 350000 und 400000 Mann.

    "..... unter normalen Umständen hätte dies den Zusammen­bruch der deutschen Armee
    bedeuten müssen. Es geschah jedoch nicht, und dieses Beispiel ist bezeichnend für die militärischen Fähigkeiten der Deutschen, den inneren Zusammenhalt zu wahren und sich (selbst) von katastrophalen Rückschlägen zu erholen." 7


    Neben der Führungskunst der Deutschen hat sicherlich auch die Tatsache zum Bilden einer neuen Front beigetragen, daß sich die sowjetische Offensive wegen langer Verbindungs­und Versorgungswege totgelaufen hatte, und nun die Rückwärtigen Dienste und Infanterieverbände aufschließen mußten.

  2. Am 20. August brach ein neuer Angriff gegen die von Reserven entblößte Heeresgruppe Südukraine (Friessner) los, die im Zuge der Karpaten und des Dnjestr die Eingänge nach Rumänien verteidigte. Am 29. August erreicht die Rote Armee die Donau 8, am 1. September nimmt sie Bukarest. Sie stößt nunmehr nördlich und südlich der Donau vor.

    Damit droht ein Abschneiden der Heeresgruppe F (von Weichs) in Jugoslawien sowie der Heersgruppe E (Löhr), die noch im Begriff ist, Griechenland zu räumen. Am 23. August hatte Rumänien nach einem Putsch den Abfall vom Deutschen Reich erklärt, am 25. August folgte die Kriegserklärung. 9 Erneut verlieren die deutschen Truppen etwa die Stärke von 16 Divisionen, "ein unersetzlicher Verlust in unserer ohnehin schon schweren Lage". 10

Italien

Auch in Italien hatte sich die Lage für das Deutsche Reich im ersten halben Jahr 1944 ungünstig entwickelt. Trotz des Bindens der alliierten Landetruppen bei Anzio-Nettuno waren die Deutschen gezwungen, am 17. Mai die Gustav-Linie und damit Cassino aufzugeben. Am 4. Juni marschierten die westlichen Verbündeten in Rom ein. Am 4. August wird Florenz geräumt. Ab dem 30. August entwickeln sich die Kämpfe um die Goten-Linie, südlich von Bologna (zwischen Pesaro an der Adria und La Spezia am Mittelmeer), die den ganzen Herbst und Winter 1944/45 über andauern werden.

Alliierter Bombenkrieg und V-Waffeneinsatz

  1. Neben diesen Entwicklungen und dem Attentat vom 20. Juli 1944 und seinen Folgeereignissen waren vor allem die alliierten strategischen Bombardierungen und die sogenannten Geheimwaffen wichtige Einflußfaktoren auf die psychologische Verfassung und den Durchhaltewillen der Heimatfront.
  2. Nach dem eigentlichen Beginn alliierter Bombardierungen ab 1942/43 (zunächst Ziel - Ausschalten der deutschen Kriegswirtschaft) hatte sich gezeigt, ebenso wie bei den Angriffen auf Berlin (Winter 1943/44), daß die deutsche Luftwaffe in der Verteidigung stärker als zuvor war und den strategischen Bomberflotten der Briten und Amerikaner erhebliche Verluste zufügte. 11 Bevor im Zeitraum April/September 1944 der Schwerpunkt auch der strategischen Bombardierungen auf Vorbereitung und Unterstützung der Invasion gelegt wurde (Angriffe gegen Transport- und Verkehrssysteme), war es daher Ziel der Alliierten gewesen, mit erster Priorität die deutsche Flugzeugproduktion zu beeinträchtigen. Doch durch Verlagerung und Dezentralisation der Produktionsstätten war dies ein Schlag ins Leere geworden.

    Zusammen mit den Forderungen nach "bedingungsloser Kapitulation" hatten gerade die strategischen Bombardierungen von Industriegebieten und die Flächen bombardierungen von Bevölkerungszentren das Gegenteil des angestrebten Erfolges erreicht: Führung und Bevölkerung wurden zusammengezwungen, der Durchhaltewillen gestärkt, den Zielen des Widerstandes die äußere Rechtfertigung entzogen.

  3. Am 12. Juni 1944, also sechs Tage nach der Landung in der Normandie, begann die Beschießung von London mit V-1-Raketen aus Stellungen gegenüber der englischen Südküste, wohingegen die deutschen Militärs die Beschießung der Brückenköpfe in der Normandie gefordert hatten. Bereits am 21. Juni war die tausendste V-1 im Raum London detoniert. 12 Am 8. September 1944 wird die Beschießung mit V-2 (wesentlich größere Sprengstoffladung) beginnen. 13

    Wie erwartet, jedoch insgesamt nicht im Ausmaß den Hoffnungen entsprechend, hatte sich dies negativ auf die Bevölkerung in Großbritannien ausgewirkt, die über fünf Kriegsjahre hinweg unglaubliche Belastungen zu tragen hatte. Mit Stand Juli 1944 waren in London durch den Beschüß mit V-1 15.000 Häuser zerstört, 691.000 Gebäude beschädigt und ständig 50.000 Personen zu Instandsetzungsarbeiten eingesetzt (diese Zahl hatte sich im Dezember 1944 auf 120.000 Personen erhöht!), 290.000 Personen waren evakuiert worden, und etwa 500.000 Personen auf das Land oder die Umgebung geflüchtet. 14 Wie man sehen wird, keine ungünstigen Voraussetzungen für Hitler, durch hartnäckigen Widerstand und begrenzte Schläge, auf Abnutzung und Kriegsmüdigkeit zu setzen.

Westfront

  1. Am 11. September abends überschritten die ersten Patrouillen der Amerikaner die Reichsgrenze nördlich von Trier, am 12. September erreichten sie im Raum Aachen den Westwall. 47 Tage nach dem Ausbruch aus den Brückenköpfen der Normandie, 96 Tage nach der Landung sind die Alliierten nun auf die Reichsgrenzen vorgestoßen und in Deutschland eingedrungen. Sie haben damit die Rote Armee übertroffen, die - wie geschildert - noch vor den Grenzen von Ostpreußen steht. Wie ist es dazu gekommen? 15

  2. Nach dem Durchbruch der Amerikaner (3. US-Armee) bei Avranches (31. Juli 1944) hatte sich zwischen dem 13. und 20. August 1944 die Kesselschlacht von Falaise entwikkelt, in der die Masse der Divisionen der 7. Armee und der 5. Panzerarmee vernichtet wurden. Am 17. August (also während der Schlacht) war GFM v. Kluge als OB West und Oberbefehlshaber der Heeresgruppe B abgelöst worden. Nachfolger war GFM Model. Die Divisionen, beispielsweise der beiden kampfkräftigsten Armeekorps des I. und II. SS-Panzerkorps, umfaßten nur noch die Stärke von Kampfgruppen mit wenigen einsatzbereiten Panzern und Artillerie, so daß das Aufbauen einer Verteidigungslinie an der Seine Illusion bleiben mußte. 16

    Am 25. August fällt Paris: Am Einmarsch der Verbündeten am 29. August nimmt die 28. (US) InfDiv teil, eine neu aufgestellte Division, die später noch eine Hauptrolle in dieser Darstellung spielen wird.

    Während der ablaufenden Schlacht von Falaise waren Amerikaner und Franzosen auch an der Südküste Frankreichs im Raum Toulon-Marseille gelandet (15. August 1944) und stießen - verzögert durch die Heeresgruppe G (Blaskowitz) - im Zuge des Rhone-Tales nach Norden vor.
  3. Auch das Aufbauen weiterer Verteidigungsstellungen in Frankreich erwies sich als nicht durchführbar. Der Vormarsch der Alliierten glich weitgehend einer Verfolgung:
    • Am 27 August überschreitet die 3 (US) Armee die Marne bei Chateau Thierry.
    • Am 3 September nimmt die 2 (bnt) Armee Brüssel, und am 4 September fällt der weitgehend unzerstörte Hafen von Antwerpen bei der Einnahme der Stadt in ihre Hand.
    • Am 5 September gehen Teile der 3 (US) Armee auf die Mosel vor, überschreitet die 1 (US) Armee die Maas bei Sedan.
    • Am 7 September stoßt die 1 (US) Armee über die Maas bei Dinant vor und nimmt am 8 September Lüttich ein.
    • Am 10 September wird Luxemburg durch die 5 (US) Panzerdivision genommen, und zwei Tage später nehmen die in der Normandie und in Südfrankreich gelandeten Truppen in Burgund Verbindung auf. 17

    Am 11/12 September 1944 haben die Alliierten die Reste der deutschen Truppen etwa auf die Linie südlich Scheide-Mündung - Antwerpen - Albert-Kanal - Aachen - Luxem­burg - Mosel-Tal - Nancy) - westl. Plateau von Langres - Fluß Doubs zurückgeworfen oder diese sind vor ihnen ausgewichen. Die Verluste der Deutschen seit der Landung in der Normandie betragen ca 250.000 Mann an Gefallenen, Verwundeten und Vermißten. 18

  4. (4) Als sich abzeichnete, daß weder südlich noch nördlich der Seine entscheidender Widerstand geleistet werden konnte hatte Hitler - trotz aller Aufforderungen „um jeden Preis zu halten", am 24 August den Ausbau der deutschen „West-Stellung" befohlen. 19 Es folgen die Weisung Nr64, „Befehl über die Herstellung der Verteidigungsbereitschaft des Westwalls" vom 1 September 1944 sowie der Befehl, ebenfalls vom 1 September 1944, über die „Sicherung der deutschen Weststellung und des Westwalls". 20

    Am 3 September hatte Hitler erneut GFM v Rundstedt mit der Fuhrung der Westfront beauftragt GFM Model verblieb die Fuhrung über die Heeresgruppe B. Er soll über diese Regelung sehr froh gewesen sein. 21 Mit Befehl vom 10 September 1944 wird die Übergabe des Westwalls vom Befehlshaber des Ersatzheeres an OB West mit Wirkung vom 110001A sept 44 festgelegt. 22 Vorübergehend werden dabei die Wehrkreise V, VI und XII zu Durchführungsaufgaben unterstellt.

  5. Von besonderem Interesse für uns heute ist der Befehl des OB West vom 11. September 1944 über die Räumung des voraussichtlichen Kampfgebiets durch die Zivilbevölkerung. So sollen einige Auszüge aus diesem Befehl wörtlich übernommen werden:

    • Es kommt darauf an, daß diese Räumungsmaßnahmen durch Gauleiter und zuständigen territorialen Wehrkreis in engster Verbindung mit der vor diesen Abschnitten kämpfenden Armee stattfinden.
    • Als Anhalt gibt der Herr Oberbefehlshaber West folgende allgemeingültige Weisung:
      Räumungszone in der HKL je nach örtlichen Verhältnissen 10-15 km, zuerst Frauen, Kinder und Kranke, Männer arbei­ten solange als möglich im Stellungsbau weiter. Armeen befehlen Abschubstraßen und -wege so, daß Hauptstraßen für Truppenbewegungen, Nachschub und Versorgung frei bleiben. Nach diesen Grundsätzen regeln zuständige Wehrkreis-Kommandos alle Einzelheiten in engster Verbindung mit den betreffenden Armeen, bestimmen Auffanglinien und Plätze, Versorgung und ärztliche Betreuung und arbeiten bezüglich Einzelheiten eng mit den Gauleitern.
    • Jede nur mögliche Hilfe im rückwärtigen Gebiet durch Truppe, soweit nicht zum Kampf, Stellungsbau oder Versorgung eingesetzt, ist auf Anforderung zu leisten. In den einzelnen Räumungsorten unaufgefordert anbieten! 23
HORIZONTAL FLOURISH LINE

Quelle: HEER - “Vor 40 Jahren” - Truppenpraxis 10/84 - Oberstleutnant i. G. Klaus Hammel

Zum Seitenanfang

Sitemap