ERINNERUNGEN VON HUBERT GEES
HUBERT GEES
Soldat Hubert Gees

Fusilier Battalion (Major Rider) - 275. Infanterie Division

Wie erlebte ich im Herbst 1944 den grauenvollen Krieg Im Hürtgenwald.

Vor ca. 55 Jahren, in der Frühe des 7. Okt. 1944, rückten wir hier den kurvenreichen Weg hinunter ins Tal der WEISSEN WEHE zum Gegenangriff gegen die am Vortag durchgebrochenen Amerikaner, 39. Rgt., 9. US ID. Unsere 2. Kompanie griff hinter der Brücke bei Punkt 312 auf der westlichen Talseite in südlicher Richtung an.

POINT312 WEISSER WEHE
Punkt 312 ins Tal der WEISSEN WEHE.

Bis zum Punkt 365 kamen wir nicht, wo wir die Bunker wieder nehmen sollten, sondern blieben nach etwa 1000 m vor einem kleinen Nebenbach der WEISSEN WEHE im Abwehrfeuer der von Granatwerfern und Artillerie unterstützten amerikanischen Infanterie liegen. Die traurige Bilanz des 1. Tages: Mehr als ein Drittel unserer Kampfstärke von 100 Soldaten, 35 Verluste durch Verwundung und Tod. Unter den Verwundeten auch mein KpChef, Lt. Tatze, unter den Toten mein KptrpFhr., Uffz Zeppenfeld. Mit ihm gemeinsam hatte ich an den Tagen zuvor unser Ruhequartier bei dem Landwirt Schmitz, Aibert-Leo-Schlageter-Straße 92 in Gürzenich geteilt. Er ruht heute hier auf dem Soldatenfriedhof HÜRTGEN im Grab Nr. 584. Nach 2—3 Tagen übernahm Lt. Lengfeld unsere 2. Kompanie.

Noch am Nachmittag des 7. Okt. hatten wir uns bis an eine Schneise zurückgezogen und dort eingegraben. Am 8. Okt. stießen uns dort zwei Panzerfahrzeuge, über eine leichte Kuppe kommend, in den Rücken. Ein beherzter Soldat schaltete beide mit der Panzerfaust aus.

Am 9. Okt. zog sich unsere Kompanie noch einmal zurück. Etwa 300 m südlich der Brücke bei Punkt 312 wurde in aller Eile von der Uferstraße in nordwestlicher Richtung noch eine zusammenhängende Front aufgebaut. Wir mußten schnell in die Erde; denn die größten Verluste erlitten wir durch Baumkrepierer. Alle verfügbaren Schanzgeräte wie Sägen, Äxte, Spitzhacken und Schaufeln waren in der vorderen Linie. Wir vom KpTrupp mußten uns mit unseren kleinen Flachspaten mühevoll scheibchenweise ins Schiefergestein in die Tiefe hineinarbeiten.

Oben zur Hauptstraße nach GERMETER hin war tagelang die Hölle los. Ununterbrochenes Infanterie-, Artillerie- und Panzerfeuer. Das Tal dröhnte im Widerhall. Im Bereich der Brücke bei Punkt 312 traf uns regelmäßiges Störfeuer der Artillerie. Aus dem KpGef.-Stand, dort, wo die WEISSE WEHE ganz dicht an die Uferstraße kommt, schrieb ich am 17. Okt. an meine Angehörigen:

"Ich habe wirklich Glück gehabt, daß ich bisher mit heiler Haut davon gekommen bin. Betet nur, daß mir dieses Glück auch weiterhin zur Seite stehen wird. — Wie schön könnte es doch sein, wenn man zu Hause in Ruhe und Frieden seiner Arbeit nachgehen könnte."

Am 18./19. Okt. verlegten wir auf die Ostseite des WEHE-Baches. Die beiden anderen Kp. des Btl. schlossen sich am GERMETS-Bach hoch zum Sägewerk WITTSCHEIDT hin an. Wieder mußten wir mit unserem primitiven Kinderspaten eiligst neue Erdlöcher ins Schiefergestein treiben. Dabei traf uns mittags am PFERDESIEFEN-Bach die erste Artilleriesalve. Geschoßrausch und ohrenbetäubende Explosionen in den Baumkronen über uns waren eins. Instinktiv lagen wir in unseren noch flachen Erdlöchern. Streng riechender Pulverdampf lag über uns. Ein Sanitäter war von einem faustgroßen Splitter im Rücken getroffen worden. Er überlebte nicht. War das, sarkastisch gefragt, der schönste Tod im Felde ..? So hatte man uns Jungen in vaterländischen Liedern zu singen gelehrt. Doch nicht jeder Getroffene hatte das Glück, so kurz und schmerzlos zu enden. Bei beginnender Dunkelheit traf uns erneut eine Ari-Salve, dabei durchschlug ein Splitter den Fuß unseres Krankenträgers. Am späten Abend riß ein Granatsplitter dem neben mir im Erdloch liegenden Kameraden vom Kp.-Trp. einen Unterschenkelknochen ab. Er starb am Morgen des nächsten Tages an einer Embolie, wie mir ein Sanitäter des Verbandsplatzes am ARNSBERGER WEG sagte. Ein Uffz. kehrte vom Spähtrupp nicht zurück — Bauchschuß. Kaum ein Tag ohne Verluste.

PIPER L-4 GRASSHOPPER

Aber dem Frontgebiet in Richtung TODTENBRUCH (Deadman‘s Moor) schwebte ständig kreisend ein amerik. Aufklärungsflugzeug, „Krähe“ von uns genannt. Die Besatzung lenkte das Arifeuer auf alles, was sich auf den Wegen und Schneisen sehen ließ. Unser pferdebespanntes Nachschubfahrzeug wurde in jenen Tagen oben am AHRENSBERGER-WEG voll getroffen. Mit Flugblättern und Lautsprechern forderten uns die Amerikaner zum Überlaufen auf. Überlaufen? Nein, hatten wir nicht dem Vaterland die Treue geschworen? Doch, die Erdlöcher von etwa 20 Ersatz-Soldaten, die unsere Kompanie kurz vorher zugeteilt worden waren, fanden wir am nächsten Morgen leer vor. Es waren Soldaten der sogenannten „Volksliste 3“, mehr polnisch als deutsch.

Ende Oktober gab es wieder einen Stellungswechsel: Vom rechten Flügel im Tal auf den linken Flügel des Füsilier-Btl., hier oben an die Hauptstraße angrenzend, am Waldrand vor dem Sägewerk WITTSCHEID, das die Amerikaner mit der Hauptstraße über GERMETER — RICHELSKAUL — RAFFELSBRAND — PETER-Berg nach heftigen Kämpfen seit Mitte Oktober fest in ihrer Hand hatten.

Am Morgen des 2. November (Allerseelentag) brach ein gewaltiges Trommelfeuer (12 000 Granaten lt. US-Literatur) auf unsere Stellungen los. Erde und Luft erzitterten eine Stunde lang. Das 109. Rgt. der 28. US-Inf.Div. brach nördlich KATZENHARD ein. Wir verloren unseren 3. Zug. — Sämtliche Fernsprech- und Funkverbindungen waren bei uns ausgefallen. So bekamen unsere Ari-Beobachter und ich Befehl, dem Btl. schnellstens Einbruch und Lage zu melden.

Wir eilten dem vielfach zerfetzten Fernsprechkabel entlang und standen knapp 500 m von hier, auf die hier zur Waldspitze führende Schneise tretend, plötzlich kaum 20 Schritte vor einer mit schußbereitem Gewehr vorrückenden Gruppe Amerikaner. In der Schrecksekunde, noch bevor die Gl‘s ihre Gewehre hochgerissen hatten, waren wir zwei in den Wald zurückgesprungen. Wir rannten um unser Leben. Der Uffz. schrie taumelnd auf. Er war vom wütend nachgeschickten Feuer getroffen worden. Auf und weiter, erst als wir uns unseren Stellungen wieder näherten, sahen wir uns sein durchgeschossenes Ellenbogengelenk näher an. Ein „Heimatschulß“, um den ich den stark blutenden Uffz. in jenem Augenblick beneidet habe.

Das 1./109. lnf.Rgt. besetzte am frühen Nachmittag des 2. November hier den Waldrand vor HÜRTGEN mit dem Forsthaus dort und am 3. November noch über die Hauptstraße hinweg dort ein kleines kastenförmiges Wäldchen.

Wir winkelten am Nachmittag des 2. Nov. sofort unsere Stellung ein bis an das hinter uns auf westlicher Straßenseite schon verlegte Minenfeld „WILDE SAU‘. Vor der minenfreien Gasse, die hier zum heutigen Friedhofsgelände führte, sicherte nach hinten ein MG. Diese Stellung hielten wir bis zum 20. November.

Unsere Truppenführung warf noch am 3. Nov. die 116. Panzer-Division (Windhunde) in die aufgerissene Front zwischen SCHMIDT und HÜRTGEN. Am 4. Nov. setzten verbissen geführte Gegenangriffe ein. Im Raum von VOSSENACK — SCHMIDT tobten heftige Kämpfe, begleitet von heftigem Artillerie-feuer und Panzerbeschuß. Die US-Luftwaffe griff ständig in die Bodenkämpfe ein. Gott sei Dank behinderte die schlechte Witterung (Nebel) an verschiedenen Tagen auch den Jaboeinsatz.

Bei HUERTGEN setzten bereits am 3. Nov. Gegenangriffe gegen den Frontbogen des 109. lnfRgt‘s ein. Diesen Frontabschnitt des 109. lnfRgt‘s übernahm ab 7./8.Nov. das 12. Rgt. der 4. US ID. Mit Lt. Lengfeld ging an diesem Tage ein Spähtrupp bis in eine amenik. Vorpostenstellung, die Gott sei Dank noch nicht wieder besetzt war. Am Mittag des 10. Nov. eröffnete unsere Artillerie mit einem halbstünd. schweren Trommelfeuer auf die Waldspitze und auf den amerik. Frontbogen südwestlich HUERTGEN einen neuen Versuch, den Gegner mit allen verfügbaren Mitteln zurückzuwerfen. Nach tagelangen schweren Kämpfen fiel diese Waldspitze, nachdem das Forsthaus dort mehrere Male den Besitzer gewechselt hatte, am 13./14. Nov. wieder in unsere Hand. Hierzu zitiere ich aus Kriegstagebüchern einiger Einheiten der 116. PD:

10. Nov. vormittags — Die AR 275, 1020 und das PzAR 146 legen in einem 25-minütigen Vorbereitungsfeuer stärkstes Trommelfeuer auf den zu bereinigenden Raum . .

10. Nov. abends — Südliche Stoßgruppe bis zur Hälfte im Waldgelände durchgestoßen. Trifft auf harten Widerstand, bleibt liegen. Nördliche Stoßgruppe hat Forsthaus HUERTGEN erreicht und dann nach Norden eingedreht. Im Abschnitt liegen 3 frische Btl.. Teile davon sind im Waldgelände abgeschnitten und im heftigen Kampf mit eigener Infanterie . . . Verschuß:

1676; le. Hülsen. Wetter: Schneetreiben, Regen.“

11. Nov. — „Schwere Kämpfe im Raum südwestlich HUERTGEN. Kleine Feindgruppe eingeschlossen, bin aber zu schwach, sie zu vernichten. Die Erschöpfung der Truppe ist sehr groß, ebenso die Ausfälle. Sehr schlechtes Wetter; seit Tagen liegen die Männer im Nassen draußen.

Während der Nacht zum 12. Nov. durchstießen die Amerikaner die gerade gebildete HKL zwischen 408,7 und dem Straßenknie und verstärkten ihre durchgebrochenen Teile um zwei weitere Kompanien. Das Forsthaus HUERTGEN ging wieder einmal verloren. Gegen 9.00 Uhr wurde die Lage im Gegenstoß mit Hilfe der Sturmgeschütze der Panzenjägerabteilung 228 wiederhergestellt.

Die Kämpfe wogen in ununterbrochener Härte hin und her. Es regnet, nasse Nebelfetzen oder Schneewolken fegen über das pfützendurchsetzte, aufgeweichte Land. Die im Schlamm und Wasser watenden, liegenden und kämpfenden Landser sind völliger physischer Erschöpfung nahe. Die gemeldeten Kampfstärken sinken erschreckend ab. Ununterbrochen rollt die Artl.-Schlacht. Im Wald selbst sieht es ganz toll aus. Die Bäume liegen durch das ständige Feuerkreuz und quer durcheinander, und die Wege sind vollkommen durchgeweicht. Überall steht das Wasser fußhoch. Die lnfantenisten sehen aus wie die Schweine. Keine Ruhe schon über eine Woche und kein trockener Faden am Leib; denn es regnet dauernd. Nebel ist auch dauernd vorhanden. Es ist ein Buschkrieg Mann gegen Mann mit ungeheuren Anstrengungen für die einzelnen Männer. Die Infanterie der Division ist restlos fertig. Es sind nur noch Stäbe da und ganz wenige Landser. Sogar Männer, die nicht mehr mit der Pistole nach vorn zu bringen sind, sind auch dabei.

Am 13. Nov. wurde der Angriff gegen die eingeschlossenen Amerikaner fortgesetzt . . . Die Masse der Amerikaner entkam zu den eigenen Linien. Nur 27 Gefangene wurden eingebracht. Die vordere Linie verlief nun vom Westrand des Jagens 181 auf dem Westufer des WEISSER WEHE-Baches über 408,7 auf die Nordwestecke des Minenfeldes WILDE SAU.

Am Abend des 13. Nov. besuchte GFM Model den Stab der 116. PD im Bunker bei GROSSHAU. Ablösung für die Division nun endlich befohlen. Es ist auch höchste Zeit, da sehr angeschlagen und erschöpft.

Am 10./11. November gingen wir aus unseren Stellungen südlich des Minenfeldes WILDE SAU heraus wieder Spähtrupp in westliche Richtung. Nach Überqueren der ersten Schneise stießen wir im niedrigen Unterholz plötzlich auf einen amerikanischen Spähtrupp. Das befehlsartige „Hold“ eines Gl ließ mich instinktiv ducken. Ich sah nichts vom Feind.,, Du oder ich“: hier entschied unser Führungsmann vielleicht nur um den Bruchteil einer Sekunde die Frage für sich — und damit auch für uns 3 hinter ihm. — Hart, diese Erinnerungen, man wird sie im Leben nicht mehr los.

Zwei unserer MG-Schützen vom im Rücken vor der minenfreien Gasse sichernden MG fielen durch Kopfschuß von amerikanischen Scharfschützen, die uns umzingelnd auf der ostwärtigen Straßenseite eingesickert waren. Wir hatten aber noch mehr Feinde: Das Ungeziefer — Läuse! Seit Wochen hausten wir nun schon, ohne uns waschen und die Unterwäsche wechseln zu können, in den feuchten Erdlächern. Als ich am inneren Saum meines Wehrmachtspullovers ein weißes Band von Nissen/Läuseeiern entdeckte, warf ich den Pullover kurzerhand weg, obwohl ich wegen der naßkalten Witterung dringend einen zweiten benötigt hätte.

In meinem letzten Brief von der Front am 11. Nov. schrieb ich von einer starken Erkältung und "wir haben hier immer noch schwere Kämpfe, doch scheint es, daß sich die Sache bald bereinigt".

LEUTNANT FRIEDRICH LENGFELD

Am 12. November, nachdem die Soldaten des 12. US lnf.-Rgt. nachts das Forsthaus HÜRTGEN wieder eingenommen hatten und es am Vormittag wieder verloren, traf unsere Kompanie ein schwerer Schlag:

Am frühen Vormittag rief ein offenbar schwerverwundeter Amerikaner flehend um Hilfe. Er lag mitten im Minenfeld „Wilde Sau“ an der Böschungskante der ostwärtigen Straßenseite im Niemandsland. Mein Kp.-Chef, Lt. Lengfeld, schickte mich mit der Weisung zum MG, wenn amerik. Sanitäter zur Bergung des Schwerverwundeten kommen würden, keine Waffe einzusetzen. Da die herzzerreißenden Hilferufe nach Stunden auch noch andauerten, befahl Lt. Lengfeld unseren Sanitätern, einen Bergungstrupp zu bilden.

Es mag gegen 10.30 Uhr gewesen sein: Lt. Lengfeld ging an der Spitze des Bergungstrupps auf unserer Straßenseite in Richtung Minenfeld „Wilde Sau. Die Straße selbst war mit Panzerminen gesichert, deren Lage relativ gut zu erkennen war. Als Leutnant Lengfeld in Höhe des schwerverwundeten Amerikaners gerade im Begriff war, die Straßenseite zu wechseln, riß ihn eine detonierende Schützenmine zu Boden. In Eile wurde er in unseren Komp.-Gefechtsstand zurückgetragen, um „erste Hilfe“ zu leisten. Zwei talergroße Löcher im Rücken ließen auf schwere innere Verletzungen schließen.

Er stöhnte unter schweren Schmerzen. Unter Führung eines leichtverletzten Unteroffiziers wurde er sofort zum Verbandsplatz LUKAS MÜHLE zurückgetragen. Noch am Abend erlag er seinen tödlichen Verletzungen auf dem Hauptverbandsplatz in FROITZHEIM. Seine letzte Ruhestätte hat er heute in dem Grab Nr. 38 in DÜREN-FÖLSDORF.

CEMETERY HUERTGEN
Ehrenfriedhof Hürtgen. Das rote Kreuz markiert die Position des verwundeten amerikanischen G.I.

Mit Lt. Lengfeld hatte ich meinen besten Vorgesetzten verloren. Er hatte mir in den hinter uns liegenden schweren Wochen viel bedeutet und an Innerer Kraft gegeben. Er war ein vorbildlicher Kompanieführer, der nie mehr von uns verlangte, als er selber zu geben bereit war. Mit ihm an der Spitze gehend war ich Spähtrupp bis in die amerik. Vorpostenstellungen gegangen. Wenn amerik. Explosivmunition der Infanterie mit hellpeitschendem Knall an den Bäumen einschlagend bei uns den Eindruck erweckte, der Feind sei eingebrochen, befahl er nicht „Gehen Sie mal...“ ‚ sondern „Kommen Sie mit ...“ Zunächst übernahm der dienstälteste Feldwebel die Kompanie.

Am 14. November stellten wir hier auf dem Gelände des heutigen Soldatenfriedhofes HÜRTGEN die Verbindung zum nördlich liegenden Nachbarn her. Das 12. US-Regiment hatte sich vom Straßenrand etwa 300 m zurückgezogen bis an die Nordwestecke des Minenfeldes „Wilde Sau“. Der Rückzug war übereilt gewesen. Es mußten Waffen, MG‘s, Bazookas und auch Tote zurückgelassen werden. Unser Interesse galt in erster Linie der zurückgelassenen Verpflegung in Dosen und Paketen, 0- und K-Rationen, die man meist am inneren Rand der Erdlochabdeckung eingeschoben hatte.

Lt. Heer übernahm unsere noch knapp 40 Mann starke Kompanie.

Am 16. November, dem Tag des Großangriffs der Amerikaner auf breiter Front von GEILENKIRCHEN bis VOSSENACK, wo bei auf klarendem Himmel DÜREN von Bombern in Schutt und Asche gelegt wurde, war ich noch einmal in den verlassenen Stellungen, um Nachschub an 0- und K-Rationen zu holen.

Am 17. November trugen wir mittags einen Toten durch die minenfreie Gasse zurück. Mein Kamerad Alfons Bösl ging einige Schritte voraus. Er zeigte uns den sichersten Weg durch das Dickicht der kreuz- und querliegenden Baumreste. Plötzlich schreckten wir unter der nahen Detonation einer Schützenmine zusammen. Kamerad Bösl lag gebeugt über einer zerfledderten Baumkrone. Kein Stöhnen und kein Hauch mehr — endgültig tot. Er ruht heute im Grab Nr. 36 in VOSSENACK.

Noch bevor wir am frühen Nachmittag unser Ziel, das Forsthaus HÜRTGEN erreicht hatten, überfiel uns auf dem Gelände des heutigen Soldatenfriedhofs schweres, angriffsvorbereitendes Artilleriefeuer der Amerikaner. Spätzünder krachten erst nach dumpfem Erdeinschlag und wirbelten Erdreich hoch, das wie Regen auf uns niederprasselte. Schutz suchend, sprangen wir vier in einen nahen, großen Granattrichter und kauerten uns vor den berstenden Granaten zusammengezogen fest am Boden.

Nach wenigen Sekunden leicht aufsuchend, sah ich direkt neben mir einen amerik. Soldaten, lang ausgestreckt an der Böschung des Erdkraters liegend, tot, wie mich sein leichenblasses Gesicht erkennen ließ. Er starrte mit weit offenen Augen in den Himmel über HÜRTGEN. Dieser Tote war mir nicht gleichgültig. Welche Gedanken werden ihn in seiner Todesstunde bewegt haben? Angehörige — Heimat? — Wo im weiten Amerika wird eine Mutter um ihn trauern, dachte ich? Wie würde meine Mutter um mich weinen, wenn mich das gleiche Schicksal treffen würde? Gedanken und Fragen, die mich in einem solchen Augenblick bewegten.

Mir wurde die Sinnlosigkeit des gegenseitigen Umbringens so recht bewußt. Warum, warum kämpften wir hier gegeneinander? Dieser Soldat hatte sich bis zum etzten Atemzug gegen den Tod gestemmt. Dies sagte mir sein ausdrucksvolles Gesicht, mit strengen, noch lebend wirkenden Gesichtszügen. Sein offener Mund schien noch was ausgerufen zu haben. Allein in fremder Erde hatte er letztlich den Kampf gegen den Tod verloren. Doch, war nicht in seinem Gesicht auch hoffende Erwartung zu erkennen? Dieser Tote vom 12. Rgt. ist mir immer ganz nahe geblieben. Sein Gesicht im Tode habe ich nie vergessen. Die Erinnerung lehrt mich, für die Gefallenen des HÜRTGENWALDES zu beten. Mein christlicher Glaube gibt mir die Hoffnung, daß ich ihm dereinst in der Ewigkeit die Hand zur Versöhnung reichen darf.

Der Krieg hatte uns bald wieder eingeholt. Im Keller des Forsthauses angekommen, überfiel uns wiederum starkes Artilleriefeuer. Hellrötliche Schwaden von Phosphorgranaten verfinsterten die Kellerräume. Aus der etwa 300 m entfernten Frontlinie setzte lnfanteriefeuer ein. Nach kurzer Zeit wurden 5— 6 Gefangene eiligst ins Forsthaus gebracht. Ein am Rücken verwundeter GI wurde ärztlich versorgt; anschließend wurde die Gruppe im Schnellschritt nach HORTGEN zurückgebracht.

Nördlich des Minenfeldes WILDE SAU war der Angriff abgewehrt worden. Dagegen war bei unserer 2. Kp. südlich des Minenfeldes eine Einheit des 12. US-Regiments bis zur Hauptstraße durchgebrochen. Die Reste unserer Kompanie (nur noch 18 Soldaten) hatten vor der minenfreien Gasse einen kleinen Brückenkopf gebildet.

Bei einbrechender Dunkelheit schoß die Nachbarkompanie von der Ostseite vorn in unsere Stellungen am Waldrand. Das war für uns das vereinbarte Signal zum Vorrücken. Mit äußerster Konzentration vorgehend, erreichte ich mit meinem Kameraden Brand einen Unterstand, der zu einer MG-Stellung gehörte. Eingangsvorhang vorweggerissen und mit der Taschenlanmpe ausgeleuchtet — waren eins, blitzschnell ausgeführt. Doch „hands up“ brauchten wir nicht zu rufen. Der Unterstand war leer. Die Amerikaner, ein Stoßtrupp, hatten sich zu ihren eigenen Linien zurückgezogen, unter Mitnahme ihrer Gefangenen. Allein bei unserer MG-Stellung, die ich jetzt mit dem Kameraden Brand übernahm, lagen drei Tote; unter ihnen unser Spieß, der als Offiziersbewerber zehn Tage zuvor nach vorn beordert worden war.

Wir richteten die Stellung ein, verbesserten die Tarnung. Pioniere verlegten noch am Abend in der Dunkelheit etwa 50 m vor unseren Stellungen im Wald Minen, auf deren Detonation ich am nächsten Morgen jedoch gegen 9.00 Uhr vergeblich wartete. Um 8.00 Uhr hatte ich meinen Kameraden im MG-Stand abgelöst.

Unter einer vorgelegten Baumspitze hinwegspähend sah ich plötzlich zwei GI´s auf dem schlängelnden Pfad auf unsere MG-Stellung zukommen. War es mein Vertrauen auf die ausgelegten Schützenminen — wirkte das Treffen vom Vortag mit dem toten GI im Granattrichter in mir noch nach, daß ich instinktiv zu meiner kleinsten Waffe, einer Eierhandgranate griff?

Als die zwei, eine MG-Besatzung, nur noch etwa 30 m von mir entfernt waren, eröffnete ich mit der Eierhandgranate das Feuer. Kamerad Brand sprang aus dem seitlichen Unterstand zu mir in die Stellung und schon ratterten alle Maschinengewehre los. Auch die Artillerie griff unterstützend ein.

Dabei schlugen schwere Granaten nicht nur dicht vor unseren Stellungen, sondern auch in unsere Stellungen ein. Ein Toter vom Vortag, vor dem seitlichen Unterstand liegend, wurde noch einmal getroffen. Wir fanden später nur noch seinen Unterkörper.

Dese nach kürzestem Geschoßrausch mit ohrenbetäubendem Knall nur 3—4 m neben unserer Stellung berstende Granate ließ vom Baum neben unserem Erdloch nur noch einen kahlen Stumpf stehen. Brand und ich hatten uns instinktiv blitzschnell auf den Grund geworfen. Mein Trommelfell hatte Schaden genommen, erst spät am Abend bekam ich mein Gehör allmählich wieder zurück.

Der gefangengenommene amerik. MG-Schütze sagte aus, die Truppe habe über die am Vortag erreichte Hauptstraße hinweg weiter vorstoßen wollen.

Etwa 2 — 3 Tage später kam einer der Unsrigen hastend vom Gang zur Nachbarkompanie auf der ostwärtigen Straßenseite zurück: ,,Amis stehen dort vor dem Gefechtsstand!“ Wie konnte das sein? Wir hatten keinen Gefechtslärm gehört. Waren es vielleicht, wie ich vor ein paar Jahren nachgelesen habe, GIs vom 1. Btl. der 109. Inf.-Div., die nördlich VOSSENACK hinter die deutschen Frontlinien eingesickert waren und die man von unserer Seite nie richtig in den Griff bekommen konnte?

Unsere Lage auf der westlichen Straßenseite war jetzt noch schwieriger geworden. Die minenfreie Gasse der WILDEN SAU blieb uns nur noch als letzte rückwärtige Verbindung. Unser KpTrpFhr. und ich bekamen Befehl, über HÜRTGEN gehend Verbindung mit dem Btl. auf der Ostseite aufzunehmen. Als wir zwei noch an einer San.-Station in HÜRTGEN waren, kamen die Reste unserer Kompanie bereits nach. Es hieß, die Einheit nördlich des Minenfeldes übernähme unseren Abschnitt bis zur Hauptstraße mit.

Mit noch etwa 12 Mann erreichten wir gegen Mittag den Btl.-Gefechtsstand unweit des BOSSELBACHES. Man mußte uns gesehen haben; denn dort empfing uns ein heftiger Granatwerfer-Oberfall. Nach scharfem Kommando zwängten wir uns dort in die Unterstände. Einem Kameraden hatte es die Schädeldecke weit aufgerissen. Sein Hirn verdampfte in der naßkalten Novemberluft.

Wir wurden in die Einheit am ostwärtigen Waldrand der Talweide am BOSSELBACH eingegliedert. Die Lage war dort auf beiden Seiten unübersichtlich. Am linken Flügel, gut 500 m vom Unterdorf VOSSENACK entfernt, hatten wir keinen Anschluß an eine Nachbareinheit. Auch dort hatten wir noch Verluste durch Granatwerfer. Ein leicht verwundeter Feldwebel verabschiedete sich von uns alten Kameraden mit den Worten•. „Wenn wir noch eine Kompanie wären, käme ich vom Verbandsplatz zurück, so aber ... lebt wohl!“

In der Nacht zum 27. November verlegte unsere Einheit in den Ort HÜRTGEN. Gleich bei der Ankunft über einen Seitenweg bei der Kirche ließ uns im Morgengrauen starkes Artilleriefeuer volle Deckung nehmen. Mit vier Mann von der alten 2. Kompanie, alle Jahrgang 1926, landeten wir im Keller des Forstamtes Hürtgen, wo wir am Morgen des nächsten Tages in Gefangenschaft kamen.

HÜRTGEN VILLAGE
Den Ort Hürtgen

Hürtgen war und blieb in amerikanischer Hand, als am Nachmittag der Kampflärm bei den letzten Häusern Richtung KLEINHAU verstummte. Der Endkampf hatte eine Woche zuvor mit dem Einschieben der 8. (US) lnf.-Div. begonnen. Unterstützt von starken Panzerkräften stieß man aus Richtung WITTSCHEIDT hier auf der Hauptstraße vor. Jagdbomber (Thunderbolts) griffen‚ wie wir vom 1,5 km entfernten BOSSELBACH aus gut verfolgen konnten, immer wieder in die Erdkämpfe ein, ihre Bordkanonen hämmerten auf die letzten Verteidiger der Waldspitze hier. Es war unser großes Glück, nicht mehr dort in Stellung zu sein.

 Das Schicksal / Gottes Fügung führte uns hier den Weg ins Tal hinunter in die Gefangenschaft: 7 Männer — Rest der 2. Komp., Füsilier-Btl. 275

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